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Biblische Begriffe (2): DIE GERECHTIGKEIT GOTTES

Gleich zu Anfang müssen wir festhalten, dass RECHT und GERECHTIGKEIT unterschiedliche Begriffe sind. Recht basiert auf Normen. Eine Gesellschaft gibt sich Normen (Gesetze) und achtet darauf, dass diese Normen eingehalten werden. Sie sollen dazu dienen, dass die Menschen in Frieden miteinander leben können. Erbschaften z. B. sind bei uns sehr differenziert geregelt. Nehmen wir eine ältere Frau, die zwei erwachsene Kinder hat. Ihr Haus, so sagt sie den Kindern immer wieder, soll einmal die Tochter erben, weil es ein großes Haus ist und die Tochter Familie hat. Den ledigen Sohn, so die Mutter, soll die Tochter in langfristigen monatlichen Raten auszahlen. Nun stirbt die Mutter – ohne ein Testament zu hinterlassen. Ihren Willen hat sie zwar den Kindern kund getan, sonst weiß jedoch niemand davon. Plötzlich erhebt auch der Sohn Anspruch auf das Haus. Von dem erklärten Willen der Mutter will er nichts wissen. Da es kein Testament gibt, wird ihm das Haus zur Hälfte zugesprochen. Es muss verkauft werden, Tochter und Sohn erhalten jeweils den halben Verkaufserlös. Weil Aussage gegen Aussage steht, muss der Richter auf die Gesetze zurückgreifen. Er spricht RECHT. Aber ist es auch ge-recht?

Unter „Gerechtigkeit“ verstehen wir ein „faires“ Urteil. Der Bruder hat zwar „recht“ bekommen, aber sein Verhalten und das Ergebnis der Rechtsprechung empfinden wir in diesem Fall als nicht gerecht. Er verletzt den erklärten Willen der Mutter. Hier wünschen wir uns eine Instanz, die nicht Recht spricht, sondern Gerechtigkeit bringt.

Ein berühmtes Beispiel in der Bibel (1. Kö. 3,16ff.) macht unser Bedürfnis nach Gerechtigkeit (nicht nach Recht) deutlich: Zwei Frauen kommen zum weisen König Salomo. Mit sich bringen sie einen Säugling. Beide beanspruchen, die Mutter des Kindes zu sein. Wir kennen den Fortgang der Geschichte: Salomo befiehlt, das Kind in der Mitte durchzuhauen. Die „falsche“ Mutter ist damit einverstanden, die „richtige“ Mutter bittet in ihrer Liebe zum Kind darum, es der „falschen“ Mutter zu überlassen, damit es am Leben bleibt. Daraufhin wird ihr vom König das Kind zugesprochen. – Salomo spricht in diesem Beispiel nicht Recht, er stellt vielmehr Gerechtigkeit her. Sein Urteil empfinden wir zutiefst als „fair“.

Wir wissen zwar, dass Rechtsprechung oft nicht „fair“ ist (nicht fair sein kann), wir würden es uns aber sehr wünschen. In diesem Sinn wird uns nun der Gott der Bibel als gerechter, als „fairer“ Gott vorgestellt. Da, wo Menschen unterdrückt werden, ausgebeutet werden, vielleicht sogar aufgrund rechtlich einwandfreier Urteile, kommt Jahwe zur Hilfe: „Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer“ (Lk. 6,20). – „Er hilft dem Armen ohne Ansehen der Person und erhört das Gebet des Unterdrückten“ (Sir. 35,16). – „Jahwe ist euer Gott und schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt“ (5. Mo. 10,18). – Die Urerfahrung des jüdischen Volkes mit diesem gerechten Gott ist seine Befreiung aus der Sklaverei der Ägypter.

Aber Gottes Gerechtigkeit geht nach biblischem Zeugnis noch einen Schritt weiter. Er hat eine Beziehung aufgebaut zum Menschen und mit ihm einen Bund geschlossen (Normen vereinbart): Wenn du (Mensch) mich als deinen Schöpfer (Vater) anerkennst und nach meinen Weisungen zu leben bereit bist, will ich dir unverbrüchlich und lebenslang zur Seite stehen (1. Mo. 17,7).

Immer wieder berichtet nun die Bibel davon, dass Menschen den Bund mit Gott brechen. Entweder, weil sie trotz guter Vorsätze Gottes Weisungen nicht folgen (können) oder weil sie Gott nicht mehr als ihren Schöpfer anerkennen und seine „Weisungsbefugnis“ grundsätzlich in Frage stellen.

Im ersten Fall (der Mensch verweigert sich der Beziehung zu Gott nicht grundsätzlich, erlebt sich aber als schwach und unvollkommen) macht schon das Alte Testament die Erfahrung, dass Gott (über die reine Fairness hinausgehend) ein gnädiger Gott ist. Wenn wir unsere Beziehung zu ihm nicht aufkündigen, tut er es auch nicht – auch wenn wir Fehler machen und sündigen: „Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat“ (Ps. 103,10). Gott ist also über die wohlwollende Fairness hinaus ein Gott der Gnade und Barmherzigkeit.

Merkwürdigerweise bezeichnet die Bibel diese Barmherzigkeit gelegentlich ebenfalls mit dem Begriff „Gerechtigkeit“. So kann der Psalmist sagen: „Errette mich durch deine Gerechtigkeit“ (Ps. 31,2) oder „Der Herr ist gnädig und gerecht“ (Ps. 116,5). In beiden Fällen ist nicht Gerechtigkeit, sondern Barmherzigkeit gemeint. Vielleicht hilft unser deutsches Wort „zurechtbringen“ weiter: Errette mich, indem du mich zurechtbringst“. „Der Herr ist gnädig und bringt zurecht.“

Was aber, wenn der Mensch nicht nur „schwach“ und „sündhaft“ ist, sondern Gott ganz und gar ablehnt?

Die beste Antwort auf diese Frage gibt das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der Sohn, der mit dem Vater nichts zu tun haben will, der sich sein Erbteil auszahlen lässt, wird vom Vater nicht zurückgehalten. Der Vater zwingt dem Sohn seine Beziehung, seine Nähe und Fürsorge nicht auf. Allerdings muss der Sohn mit den Konsequenzen dieser Entscheidung leben. Und er macht die Erfahrung: Die Welt ohne Beziehung zu ihrem Schöpfer ist kalt und lieblos. Jesus, der dieses Gleichnis erzählt, macht aber deutlich: Gottes „Ja“ zu seiner Schöpfung ist so unverbrüchlich, dass selbst denen, die sich gegen ihn stellen, immer eine Tür zur Umkehr offen steht. Wir mögen unsere Verbindung zu Gott kappen, ihm die Treue aufkündigen. Gott seinerseits bleibt uns treu, auch wenn er uns ziehen lassen muss. Das ist der höchste Inbegriff des biblischen Konzepts von der „Gerechtigkeit“ Gottes.

Diese Treue zu seinen Menschen begegnet uns von den ersten Seiten der Bibel bis zu den neutestamentlichen Briefen. Gottes „Gerechtigkeit“ (im Sinne von „Barmherzigkeit“) lernt Adam kennen, der sich soeben selbst das Paradies verscherzt hat, dem Gott aber Kleider macht, damit er in der Welt weiter existieren kann. Kain lernt Gottes „Gerechtigkeit“ kennen, nachdem er seinen Bruder erschlagen hat: Gott macht ihm ein „Kainszeichen“ auf die Stirn, um ihn vor Blutrache zu schützen. Zusammenfassend formuliert Paulus: „Wir sind mit Gott versöhnt worden, als wir noch Feinde waren“ (Rö. 5,10). „Glaubt an den, der die Gottlosen gerecht macht“ („zurechtbringt“, Rö. 4,5).

Zusammengefasst: Gott ist nach biblischem Zeugnis kein hartherziger, unerbittlicher Richter, der nach dem Buchstaben des Gesetzes urteilt und verurteilt. Er ist vielmehr gerecht, indem er unsere Schwäche in sein Urteil einbezieht und „fair“ mit uns umgeht. Sein größter Wunsch: mit uns in eine persönliche Beziehung zu treten. In dieser Beziehung hält er uns unverbrüchlich die Treue. Deshalb ist er über Recht und Gerechtigkeit hinaus gnädig und barmherzig. Er bringt uns zurecht. Das alles liegt in dem hebräischen Begriff „Gerechtigkeit Gottes“.

 

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