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Konflikte austragen, ohne einander zu verletzen

In unserer Zeit und Gesellschaft sind körperliche Gewalt zur Durchsetzung von Interessen eher verpönt. Kriegerische Auseinandersetzungen, Schlägereien, ja selbst der Klaps auf den Po des zu erziehenden Kindes erscheinen uns als Konfliktlösungsstrategie ungeeignet. So haben wir uns auf die verbale Kriegsführung verlegt. In ihr hallen die Muster physischer Gewaltanwendung noch nach. Ob Politik, Wirtschaft oder Sport: Es wimmelt nur so von verbalen Tätlichkeiten. Da bekommt die Regierung von der Opposition „eine schallende Ohrfeige“ verabreicht. Der Konzernchef ist „angeschlagen“, steht „vor dem KO“. Gewerkschaft und Arbeitnehmerverband „suchen den offenen Schlagabtausch“. Der FC Großstadt hat den Gegner „geschlagen“ oder gar „aus dem Weg  geräumt“.

In den letzten Jahrzehnten steigt das Bewusstsein dafür, dass auch Worte Tätlichkeiten darstellen können. Man spricht dann von verbaler Gewalt. Sie zu definieren ist nicht schwer: Gewalt übt aus, wer verletzt. Worte können sehr verletzen – die gesprochenen und manchmal auch die unausgesprochenen. Dabei können seelische Verletzungen durchaus schwerer wiegen als körperliche.

Auch in den christlichen Gemeinden ist verbale Gewalt keine unbekannte Größe. Auch hier geschieht Ausgrenzung, Abwertung oder Bevormundung. Auch hier sind die zynischen, spitzen oder gar gehässigen Bemerkungen zu hören, die sich wie Stachel tief in die Seele graben und sehr schwer wieder zu entfernen sind. Auch hier verletzen sich Menschen durch unsachliche oder übertriebene Kritik, durch arrogantes oder aggressives Verhalten, durch Spott oder üble Nachrede. Dem Thema „verbale Gewalt“ wird in der Bibel viel Raum gegeben. So heißt es in den Psalmen: Herr, errette mich von den Lügenmäulern, von den falschen Zungen… Es wird meiner Seele lang, zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. (Ps. 120, 2 + 6). Und Jakobus warnt: So ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an! (Jak.3,5)

Wie gehe ich im Konfliktfall mit meinem Gegner um? Wenn körperliche und auch verbale Gewalt ausscheiden, wie kann ich dann meine berechtigten Interessen wahren?

Achtsame Kommunikation

Achtsame Kommunikation ist nicht in erster Linie eine Methode. Sie ist eine Grundhaltung, die allerdings der Einübung bedarf. Dazu ein Beispiel:

Weißt du eigentlich, dass ich seit deinem Umzug unendlich viel Zeugs von dir in meinem Auto spazieren fahre?! Also ich bin wirklich nicht dein Taxi. Vielleicht könntest du dich mal herablassen und die Klamotten wie versprochen abholen!
Dieser Satz fordert geradewegs dazu auf, eine Aggressionsspirale in Gang zu setzen. Vielleicht so:
Wie bist du denn heute drauf! Du tust ja so, als ob ich dir ein großes Unrecht angetan hätte! Im übrigen hast du von mir schon seit einem Jahr die CD vom letzten Chorkonzert. Also tu nicht so!

Wie diese Unterhaltung weitergeht, können wir uns lebhaft vorstellen. Jede spitze Bemerkung sticht und führt zu Vergeltungsaktionen.

Achtsame Kommunikation könnte so aussehen:
Seit deinem Umzug habe ich deinen Werkzeugkasten und die Tragegurte im Auto. Du wolltest sie gleich am nächsten Tag abholen. Jetzt werde ich ungeduldig und ärgerlich, weil wir ja nun in den Urlaub fahren und den Platz brauchen. Können wir einen Termin vereinbaren, an dem du die Sachen holen kommst?
Ein ganz wichtiger Unterschied zur ersten Version: Mein Ärger steckt nicht im rüden Tonfall und damit zwischen den Zeilen, sondern wird benannt und begründet. So ist er leichter nachzuvollziehen und anzunehmen. Achtsame Kommunikation blendet meine unguten Gefühle also nicht aus, so dass ich sie hinunterschlucken müsste. Damit ist mir UND meinem Gegenüber geholfen: Ich darf die Gefühle haben (Gefühle lassen sich ohnehin nicht direkt beeinflussen); sie benennen statt sie auszuleben, macht sie „verdaubarer“.

Achtsame Kommunikation hat mit Höflichkeit zu tun. Merkwürdigerweise sind wir oft zu Fremden höflicher als zu den Menschen, die uns in Familie und Gemeinde besonders nahe stehen. Aus unerfindlichen Gründen meinen wir, mit Menschen, die wir lieben (und die uns lieben) rauer umgehen zu können. Bei ihnen darf ich sein „wie ich bin“ (also aggressiv, nörgelnd, aufbrausend, egoistisch…?!). Höflichkeit im familiären Umfeld empfinden wir oft als aufgesetzt oder unnatürlich. Das Ergebnis: verbale Gewalt, Verletzungen, vielleicht sogar der Verlust gegenseitiger Achtung.

Wahre Liebe dagegen ist achtsam – auch im Ton. Wahre Liebe und „sich gehen lassen“ passen nicht zusammen. Der umgekehrte Impuls sollte uns leiten: An mir nahe stehenden Menschen kann ich die Achtsamkeit und Höflichkeit einüben, die ich Fremden gegenüber brauche.

Mache deinen Konfliktgegner zum Konfliktpartner

Wir erleben schwere Konflikte als Krisen. Sie stören nicht nur unser allgemeines Harmonie-
bestreben, sondern werden oft als persönliche Angriffe empfunden. Sie verletzen, soweit wir angegriffen werden, unser Ego. Sie stellen uns in Frage. Jede Kritik reizt zur gereizten Antwort. Je nach Veranlagung oder Konditionierung reagieren wir in einem Konflikt, an dem wir beteiligt sind, mit eisigem, verletztem Schweigen, mit lautem Aufbrausen oder mit Verdrängung.

“Behandle deinen Konfliktgegner wie einen Richterkollegen, mit dem du zu einem gemeinsamen Urteil kommen musst”, empfiehlt Roger Fisher in seinem einflussreichen Harvard-Konzept (Campus Verlag 2000). Dieser Rat hilft nicht nur, das Problem zu versachlichen, sondern bezieht das Gegenüber gezielt in den Konfliktlösungsprozess ein. Indem ich dem oder der anderen die Fähigkeit zubillige, den Konflikt gemeinsam mit mir zu lösen, schenke ich ihm oder ihr Anerkennung, eines unserer elementarsten Grundbedürfnisse. Gleichzeitig stelle ich sicher, dass die Lösung einvernehmlich und wahrscheinlich auch dauerhaft sein wird. Und schließlich schalte ich von Kampf und Vorteilsdenken auf Kooperation und faire Einigung um.

Und wenn gar nichts mehr geht?

Manche Streitsituation ist jedoch bereits so verfahren oder so weit eskaliert, dass die Beteiligten die Prinzipien der achtsamen Kommunikation nicht mehr praktisch anwenden können. Auch fehlen bis heute vielen Menschen die dazu nötigen, weiter oben beschriebenen kommunikativen Kompetenzen. Als sehr erfolgreiche Antwort auf dieses Problem hat sich die Mediation erwiesen. Mediation bedeutet Vermittlung. Ein Mediator ist also ein Vermittler im Konflikt. Als “allparteilicher” Vermittler ist er auf das Vertrauen aller Konfliktparteien angewiesen und benötigt neben moderativen und kommunikativen Fähigkeiten ein hohes Maß an Verständnisbereitschaft und Empathie. Als „Reiseleiter“ begleitet er Konfliktparteien auf ihrem neuen Weg achtsamer Kommunikation.

Konflikte sind Indikatoren dafür, dass etwas in einer Beziehung oder in einem Beziehungsgeflecht nicht „rund läuft“. Deshalb sollten wir sie nicht als Katastrophen, sondern als Wachstumsknoten ansehen. Zunächst hat es den Anschein, als ob der Konflikt blockierte und sich die Dinge dadurch verschlimmerten. Wenn es aber gelingt, ihn in guter Weise zu lösen, gehen wir und die anderen Beteiligten gestärkt aus dem Konflikt hervor. Konflikte sind natürlicher Ausdruck unseres Menschseins. Sie entstehen immer bei unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Sie sind also kein „Betriebsunfall“ und auch kein Zeichen dafür, dass etwas bei uns nicht stimmt. Wenn wir uns in unserer Vielfalt an „Wollen, Fühlen und Verstand“ ernst nehmen und annehmen wollen, dann müssen wir auch die dazugehörigen Spannungen und Konflikte akzeptieren. Unsere Nähe zu Christus löst Konflikte nicht in Luft auf. Sie kann uns aber helfen, achtsam miteinander umzugehen. Ein russisches Sprichwort lautet: Wer verhindern will, sucht Gründe. Wer gestalten will, findet Wege.
 

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